Keine Anfechtung der Vaterschaft bei aus religiös-kulturellen Gründen bestehender Gefahr für die Kindesmutter

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.05.2025 – 2 WF 62/24

Ausgangslage

Ein Ehemann gilt automatisch als Vater eines von seiner Ehefrau geborenen Kindes. Besteht jedoch keine genetische Verwandtschaft, kann er die Vaterschaft anfechten. Hierfür wird die genetische Abstammung durch ein Gutachten überprüft. Mutter und Kind müssen die dafür notwendige Probenentnahme grundsätzlich dulden – es sei denn, die Untersuchung ist ihnen unzumutbar.

Fraglich war, ob eine solche Unzumutbarkeit auch dann vorliegt, wenn in einem bestimmten kulturellen Umfeld – hier: Irak, jesidischer Glaube – schon die Durchführung der Untersuchung mit dem Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft sowie einer Gefährdung von Leib und Leben verbunden sein könnte. Dem steht das Anfechtungsrecht des rechtlichen, nicht leiblichen Vaters und das Kindesinteresse an Statuswahrheit und Identität gegenüber.

Sachverhalt

Aus der Ehe zweier irakischer Staatsangehöriger gingen zwei Kinder hervor. Nach der Scheidung erhielt die Mutter das Sorgerecht. Der Ehemann focht seine Vaterschaft hinsichtlich eines Kindes an, da er nicht der biologische Vater sei.

Das Familiengericht ordnete ein Abstammungsgutachten an. Die Mutter, Anhängerin des jesidischen Glaubens, verweigerte die Mitwirkung mit der Begründung, sie müsse einen Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft sowie Sanktionen ihrer Familie bis hin zur Tötung befürchten. Ihr Bruder bestätigte dies.

Der Kindesvater sprach daraufhin mit der Familie der Mutter. Diese erklärte, die Angelegenheit solle nach deutschem Recht geklärt werden. Auch der Vater der Kindesmutter versicherte, dass keine Racheakte zu erwarten seien.

Entscheidung

Das Familiengericht folgte dennoch der Argumentation der Mutter, das OLG Karlsruhe bestätigte diese Entscheidung.

Unzumutbar sei eine Untersuchung, wenn sie zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Betroffenen führen könne. Zwar begründe die Art der Probenentnahme selbst in der Regel keine Unzumutbarkeit, hier sei jedoch davon auszugehen, dass die Durchführung aufgrund der kulturell-religiösen Hintergründe für die Mutter lebensgefährlich sein könnte.

Die Zusicherungen ihres Vaters änderten daran nichts, da mögliche Racheakte nicht ausgeschlossen werden könnten. Damit habe das Recht der Mutter auf körperliche Unversehrtheit Vorrang vor dem Interesse des Vaters an der Klärung der Abstammung.

Einordnung

Grundsätzlich sind genetische Untersuchungen im Interesse des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft durchzuführen. Religiöse oder kulturelle Erwägungen allein rechtfertigen keine Verweigerung. Das Anfechtungsrecht des Vaters darf nur in Ausnahmefällen zurücktreten – nämlich dann, wenn die Mitwirkung unzumutbar ist.

Während bisherige Rechtsprechung Unzumutbarkeit im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Folgen für Männer stets verneinte, wurde sie hier erstmals wegen drohender religiös motivierter Gewalt anerkannt. Obwohl solche Taten in Deutschland strafbar sind, reichten schon die behaupteten Gefahren aus, um die Mitwirkungspflicht der Mutter auszuschließen.

Das Gericht prüfte jedoch weder Schutzmöglichkeiten für die Mutter noch die Wahrscheinlichkeit solcher Sanktionen. Auch die Möglichkeit, dass der Vater durch seinen Antrag bewusst Schaden zufügen wollte, blieb unberücksichtigt.

Das OLG nahm keine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen vor. Trotz der Darlegungs- und Feststellungslast der Mutter wird im Beschluss nicht erläutert, warum ihre Angaben als ausreichend angesehen wurden. Die Folgen einer ungeklärten Vaterschaft für das Kind blieben unberücksichtigt. Damit erscheint die Entscheidung im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG fragwürdig.

Der rechtliche Vater bleibt in allen Pflichten gebunden, die genetische Abstammung des Kindes bleibt ungeklärt. Das Kind wächst – zumindest bis zur Volljährigkeit – ohne Kenntnis seiner biologischen Herkunft auf und verliert damit einen wesentlichen Teil seiner Identität.

Mit dieser Entscheidung wird die Möglichkeit der Anfechtung faktisch schon vor der Probenentnahme ausgeschlossen, sobald in bestimmten kulturellen Kontexten Sanktionen wie Bedrohung oder Gewalt drohen. Während das Schutzinteresse von Männern gegenüber strafrechtlicher Verfolgung nicht ausreicht, wird das Risiko innerfamiliärer Gewalt als vorrangig anerkannt. Dies führt dazu, dass sowohl das Anfechtungsrecht des rechtlichen, nicht leiblichen Vaters als auch das Identitätsrecht des Kindes zurücktreten müssen.

 

Dr. Marko Oldenburger

Fachanwalt für Familienrecht und für Medizinrecht

Dr. Oldenburger berät und vertritt Einzelpersonen, verschiedene- und gleichgeschlechtliche Paare auf dem Weg der Kinderwunscherfüllung auch bei Leihmutterschaft und internationalen Adoptionen. Senden Sie ihm eine E-Mail an (oldenburger@schneiderstein.de) oder nutzen Sie unser Kontaktformular.
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